Jeff Cascaro – voc, tp |
Jeff Cascaro hat durch seine zurückliegenden Studioalben eine beeindruckende Klangästhetik herausgearbeitet. Die Aufnahmen Soul of a Singer (2006), Mother and Brother (2008), The Other Man (2012) als auch Love and Blues in the City (2017) sind zeitlose Klangdokumente des Soul Jazz.
So war es nicht verwunderlich, dass die Annäherung an ein Live-Album Zeit brauchen würde. Nach langen und oft auch sehr kontroversen Diskussionen hat sich der Künstler mit dem Gedanken anfreunden können. Eine Aufnahme war für 2020 geplant – und dann kam plötzlich alles ganz anders.
Am 26.04.2019 lief unbemerkt der hauseigene Mitschnitt der Jazzschmiede Düsseldorf. Keiner der Musiker hatte dies wirklich realisiert. Beim neugierigen Gegenhören der Aufnahme durch Christian von Kaphengst, dem Produzent und Bassist, war die erste Hürde genommen. Von Kaphengst ermunterte die anderen zum Hören. Labelchef Rüdiger Herzog war gleichfalls umgehend Feuer und Flamme. Zaghaft und zögernd hat sich auch Jeff Cascaro den Mitschnitten angenähert, dann jedoch war die Begeisterung groß. Dies in solch einem Umfang, dass nun fast das komplette Konzert veröffentlicht wird, mit der üppigen Spielzeit von 76 Minuten.
In der Vorbereitungsphase zu den finalen Mixes im Studio, hat Tonmeister Arne Schumann einen schönen Satz von sich gegeben: „Live-Mitschnitte müssen immer diese feine Balance zwischen Spontaneität und einer dadurch möglicherweise auch leicht eingeschränkten Klangpräsenz haben.“ In der Tat spürt man, dass die Musiker primär für das Publikum spielen und nicht an eine Aufnahme denken. So lebt die Musik im Hier und Jetzt, hat Punch, atmet Raum und wird – anders als bei den Studio Aufnahmen – weit lockerer aus dem Moment heraus gesteuert. So ist das Resultat freigeistiger und überraschender. Die Musiker nutzen stärker ihre situative Intuition und ihren musikalischen Background. Aus dieser mentalen Freiheit heraus werden andere spielerische Risiken eingegangen, die diese Aufnahme dann auch wirklich fundamental von den Studio Alben unterscheidet. Die Musik ist ungemein lebendig, trägt weit mehr improvisatorischen Anteil und der energetische Fluss ist einheizend bis kochend. So war es auch Jeff Cascaro persönlich, der die Titelfindung des Albums festsetzte: „Pure. Das muss der Albumtitel sein. Er sagt alles kurz und knapp. Er schließt das Reine in der Musik, aber auch die Substanz mit ein.“
Der aufgezeichnete Konzertabend in der überfüllten Jazzschmiede Düsseldorf war brillant und man muss Lars Wallat aus dem Club-Team für seinen Live-Mitschnitt danken, denn dieser setzt Jeff Cascaro adäquat in Szene. Die Zuhörer danken es mit spontanem Beifall und treiben die Musiker zu ungeahnten Höhenflügen. Es liegt durchweg eine wunderbare Spannung und Neugierde in der Luft.
Die Band war durch zwei voranliegende Konzerte gut eingespielt und zugleich sehr wach in der Interaktion. Gerade der erst später ins Quartett hinzugestoßene Paul Höchstädter, Drummer der hr Big-Band, spielt wunderbar luftig leicht. Er überrascht seine Mitmusiker und hält den Sound für die Band bestehend aus Christian von Kaphengst und Roberto Di Gioia extrem flexibel. Er ist Takt- und Richtungsgeber zugleich. Roberto Di Gioia zeigt sein entspannt virtuoses Spiel und wagt sich auch ab und an musikalisch weit fort vom Songmaterial, bleibt aber der wache „call and response“- Partner für Jeff Cascaro. Der sonore Bass von Christian von Kaphengst versteht das Quartett zu erden. Der musikalische Abend schließt feingeschliffene Titel wie A Taste of Honey, Ain’t no Love in the Heart of the City, Inner City Blues mit ein, greift aber auch auf alte Cascaro Klassiker wie Beale Street oder Roots zurück. Wer die Essenz des Gesangs von Jeff Cascaro, dem wohl wichtigsten deutschen Jazz Sänger verstehen möchte, höre sich einfach nur die Zugabe „This Masquerade“ und somit den letzten Titel des Albums an. Hier explodiert nochmals das gesangliche Können in all seiner Feinheit. Der sensibel gesteuerte Umgang mit Klangfarben, der mühelose Registerwechsel, das Spiel mit Volumen und interpretatorischem Gefühl bringt den Song zum Glänzen. Live solch eine famose Interpretation hinzulegen geht nur im Vertrauen auf die Mitmusiker, die wie er betont, auch immer Freunde sind. Und wenn man sich beim zweiten Hören fragt, wer diese ungemein melodisch geprägten Trompetensoli spielt, wird sich bewusst, dass Jeff Cascaro noch in vielen Facetten zu entdecken ist.
Foto: Sam Vidmantas